Musikschule Wesermarsch
Musikschule Wesermarsch
Landesverband Niedersächsischer Musikschulen Verband deutscher Musikschulen

<< Themenliste

Musik als anthropologische Konstante

Von Thomas Schröder

Er zeigt, wie Musik verschiedene Funktionen erfüllt, wie zum Beispiel die der Kommunikation, Identitätsbildung, Emotionsregulation, Kognition und Sozialisation. Diese kann man mit Sicherheit als wichtige, elementare Konstanten im sozialen Miteinander bezeichnen, an ihnen messen sich zudem wichtige Faktoren, wie z. B. Kernqualifikationen. Thomas Meyer skizziert darüber hinaus, wie Musik von der ersten Flöte bis zur Kopfhörer-Kultur verschiedene Formen und Medien angenommen hat, die sowohl die musikalische Praxis als auch die musikalische Wahrnehmung beeinflusst haben. Er plädiert dafür, Musik als eine lebendige und vielfältige Kunstform zu verstehen, die immer wieder neu erfunden und entdeckt werden kann.

Der Artikel, erschienen in der Neuen Züricher Zeitung (https://www.nzz.ch...rum-wir-musik-machen-ld.1768981), ist durchaus anregend und inspirierend, weil er einen unkonventionellen Blick auf die Bedeutung und die Möglichkeiten von Musik, genauer beschrieben „musikalischer Artikulation“, eröffnet. Der Autor führt an, dass Musik eine universelle Sprache ist, die Menschen verbindet, Emotionen weckt und Erinnerungen hervorruft. Meinem Musikschulpersonal ist die unglaublich nachhaltige Wirkung von Musik beispielsweise aus der Arbeit mit demenzkranken Menschen bekannt. Darüber hinaus ist es keineswegs von der Hand zu weisen, dass Musik auch eine wichtige Rolle für die Bildung und die Kultur spielt, weil sie das kreative Potenzial, das kritische Denken und das ästhetische Urteil fördert. Ich glaube, dass Musik weiterhin eine politische Dimension hat, weil sie gesellschaftliche Werte, Normen und Konflikte widerspiegelt und beeinflusst. Und das in einem Ausmaß, wie es viele Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung überhaupt nicht wahrnehmen können oder vielleicht auch wollen.

Als Mitglied der Musikschule Wesermarsch fühlt sich das gesamt Kollegium der Musikschule angesprochen, denn der Artikel zeigt auf, wie wichtig und wertvoll die musikalische Bildung ist, die wir vor Ort vermitteln. Wir alle sind froh darüber, Teil einer Institution zu sein, die sich für die Förderung und die Verbreitung der musikalischen Kunst einsetzt, die die musikalischen Talente und Interessen der Schülerinnen und Schüler unterstützt und die die musikalische Vielfalt und Qualität in der Region erhöht. Wir sind dankbar dafür, dass wir in der Wesermarsch die Möglichkeit haben, Musik zu lehren, zu performen und zu genießen. Dadurch wird das Leben der Menschen in unserem Landkreis bereichert, verbessert und verschönert.

Es gilt, differente Aspekte der Musik zu reflektieren und zu hinterfragen. Auch ein dialektischer Diskurs ist mitunter ein bereicherndes Element in diesem Zusammenhang. Ich frage mich, was Musik eigentlich ist und wie sie uns beeinflusst. Wie kommt es zum Beispiel, dass sich häufig die Geister von Zustimmung und Ablehnung so vehement voneinander scheiden? Mag ich die Stones dann lehne ich die Beatles ab? Ist Musik eine objektive oder eine subjektive Realität? Den Klang kann ich nicht greifen, nicht anfassen und ebenso wenig kann ich mich ihm entziehen, selbst dann nicht, wenn ich meine Ohren künstlich verschließe. Der Klang ist immer wahrhaftig und immer präsent. Schon vor der Geburt erleben wir eine intrauterine Klangwelt, die dazu geneigt ist, uns und unsere psychologische Biographie nachhaltig zu beeinflussen, ja zu bestimmen. Ist Musik eine Form der Erkenntnis oder eine Form der Sinnlichkeit? Mathematische Prinzipien und physikalische Fakten sortieren und definieren musikalische Parameter. Die Welt der Emotionen entwickelt sich dazu in synchroner Gestalt, unmittelbar. Musik ist die einzige Ausdrucksform in der Kultur, in welcher dieses unmittelbar Erleben zwischen Emotionalität und faktisch-gefühlter Naturwissenschaft erlernbar ist. Viele Kernkompetenzen sind Produkte, die durch Musik im homogenen Erleben latent erlernt werden. Zum Beispiel die Kernkompetenz, dass man das Gesamtergebnis eines Produktes durch Zurückhaltung wesentlich verbessern kann. Jedem Musiker, der in einem Ensemble musiziert, ist dieser Sachverhalt sofort verständlich. Wie verhält sich Musik zu anderen Kunstformen, zu anderen Wissenschaften, zu anderen Lebensbereichen? Stichworte musikalischer Durchsatz der Gesellschaft, Multidimensionalität, Polyvalenz! Wie verändert sich Musik im Kontext von Zeit, Raum, Gesellschaft und Kultur? Hierbei wird der musikalische Ausdruck zum Indikator der gesellschaftlichen Realität. Die geistigen Tendenzen im Faschismus fokussierten musikalisch andere Schwerpunkte, wie jene rund 20 Jahre später. Was sagt uns das? Was fühlen wir dabei? Das destruktive Staccato marschierender und dumpf gröhlender Truppen versus „Love Me Tender“-Hauch von Elvis. Musik ist realer als ich manchmal denke. Wie verändert Musik uns selbst? Welche Rolle spielt sie in unserer Biographie? Welche Momente verbinden wir mit einer bestimmten Musik? Durch die Beschäftigung mit diesen Fragestellungen sollte uns schlagartig klar werden, wie unsere Identität unmerklich und unmittelbar durch musikalische Artikulationen tangiert wird.

Ich denke, dass diese Fragen keine eindeutigen Antworten haben, sondern dass sie uns dazu einladen, Musik immer wieder neu zu denken und zu erleben. Musik ist unumstößlich eine Herausforderung und eine Bereicherung für unser Menschsein. Ich denke, dass Musik eine Quelle der Freude und der Weisheit ist.


8.12.2023 10:03

Druckversion